Zwischen Todessternen und Barbie-Hacks: Toyplosion 2024

Zum zweiten Mal findet die große Börse für Retro-Spielzeug in der Europahalle Castrop-Rauxel statt und zieht ein Publikum weit über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus an. Viele Kuriositäten, einige „das hatte ich doch früher“- oder „erinnerst du dich an die Werbung dafür?!“-Momente sowie eine über alles liegende freundliche Atmosphäre sind signifikant für das Großevent in der kleinen NRW-Stadt.

K.I.T.T. spielt vor der Halle das Knight-Rider-Thema auf Heavy Rotation © Anna Sellmann

I have the power!

Dominierendes Franchise auf der Börse ist ganz klar Masters of the Universe. Die Mattel-Figuren rund um He-Man wurden einst dafür entwickelt, mit dem Star-Wars-Spielzeug-Imperium mitzuhalten und übertrumpften es in den den frühen 80ern sogar. In den späten 80ern brach die Reihe ein. Heute wird der Kult rund um Skeletor und Konsorten primär liebevoll von Erwachsenen gepflegt, die einst mit Grayskull und Snake Mountain aufgewachsen sind.

Dead Media? Von wegen! Auch MCs boomen auf der Toyplosion © Anna Sellmann

Schwindelerregende Wertsteigerung

Wer zuletzt in den 90ern und Nuller-Jahren auf Flohmärkten unterwegs war, wird Bausteine staunen, welche Preise heute für Alf, ThunderCats oder Biker Mice from Mars abgerufen werden. Längst sind die ikonischen Spielzeuge, für die sich eine ganze Weile nur wenige interessierten, jede Menge Geld wert.

Was man auf der Toyplosion nicht ganz so häufig sieht, sind Spielwaren von Franchises aus Fernost, wie beispielsweise Sailor Moon oder aus unseren Breitengraden, wie Benjamin Blümchen, Bibi Blocksberg, TKKG: You name it. Wer sucht, der wird aber auch auf diesen Gebieten fündig und kann mit tollen Kassettenkoffern oder Plüschtieren – von unbespielt bis abgegriffen – die Heimfahrt antreten. Zumindest inoffiziell ist die Toyplosion aber auch eine Messe für Action-Figuren, von daher ist nachvollziehbar, warum die Kunststoffpuppen mit der Zielgruppe „Jungs“ so dominieren.

Überraschend ist auch, dass Pokémon nicht wirklich prominent vertreten ist, so stellen viele Karten und weitere Artikel der wohl weltweit größten Toy-Marke überhaupt, eine lukrative Wertanlage dar. Der Fokus in Castrop-Rauxel liegt auf den auslaufenden 70ern und 80er Jahren und das erkennt man alterstechnisch auch am Publikum.

Melmac-Plüsch zu gesalzenen Konditionen © Anna Sellmann

Cos-Play und Freude am Spiel

Es scheint so, als sei das Vermummungsgesetz auf der Toyplosion ausgesetzt, so laufen schon einmal ein paar Jedi-Ritter, Power Rangers oder sonstige vollmaskierte Krieger – manchmal auch als verkleidete komplette Familienbande – vorbei oder stehen mit einem am Kuchenstand Schlange.

„Who you gonna call?“ © Anna Sellmann

Grading: Ein heißes Eisen

Auch ein Grading-Unternehmen ist auf der Toyplosion vertreten und verteilt Jutebeutel, die sich bei vielen Besuchern im Kaufrausch als äußerst nützlich erweisen. Grading ist praktisch die Bewertung von Sammelgegenständen durch private Unternehmen. Oft ist die Dienstleistung mit einer Versiegelung, etwa in einen Plexiglaskasten, verknüpft. Sammelkarten, Videospiele oder Actionfiguren jeder Art: Heute erscheint alles zum Grading möglich zu sein. Kritiker des jungen Wirtschaftszweigs werfen eine künstliche Wertsteigerung und damit einhergehende Verteuerung der Artikel vor. Selbstredend wollen Re-Seller und solche, die sich schlichtweg vorbehalten, ihr Sammlerobjekt wieder zu verkaufen, die Gradinggebühren wieder reinbekommen. Außerdem gibt es keine allumfassenden gültigen Regularien für alle Unternehmen, die diesen Service anbieten – die Transparenz ist beim Prozess umstritten. Der am schwersten wiegende Kritikpunkt ist aber, dass – vor allem was Videospiele betrifft – die Grading-Hülle eine Art Plastiksarg für das Produkt darstellt und es komplett von seiner eigentlichen Funktion als Spielzeug, zu einem bloßen Spekulationsobjekt entfremdet wird. Und das ist schon irgendwie unsexy.

Stöbern, Handeln, Kaufen: Reges Treiben auf der Retro-Börse © Anna Sellmann

Skurrilitäten-Kabinett

Neben den deutschen Ghostbusters, die man für diverse Events, leider aber nicht zum tatsächlichen Geisterjagen buchen kann (Dematerialisierer nicht TÜV-zertifiziert), stellt sich auf der Verkaufsmesse der Puppengeist vor. Er kreiert aus Barbies kleine Custom-Projekte, lässt sie mit anderen Elementen verschmelzen und eigentümliche Beziehungen mit Charakteren anderer (Mattel-)Universen eingehen.

Verwegenes Spiel? Eine Kreation vom Puppengeist © Anna Sellmann

Urheberrecht mystique

Nicht bei allen Produkten, die so an den Verkaufsständen angeboten werden, scheint der Genehmigungsprozess bezüglich der Nutzungsrechte spezifischer Lizenzen komplett abgeschlossen. Grandios, was 3D-Drucker in Kombination mit kreativen Geistern alles leisten können. Schön auch, dass es jetzt bequeme Socken für den geneigten Horror-Fan gibt. Raubkopien sind eine Sache, aber wer mit eigener produktiver Energie Ergebnisse schafft, die mit gewissen popkulturellen Elementen spielen und dabei auch noch furchtbar praktisch sind, hat mehr Lob denn Tadel verdient. Hardcore-Sammler interessierten sich immer schon für Knock-Offs rund ums Franchise, es ist Teil der Kultur.

Von diesem Fan-Service kann sich Big N noch was abschauen © Anna Sellmann

Rundum gelungen

Verdientermaßen genießt die Toyplosion einen sehr guten Ruf in Sachen Inhalt, Stimmung und Organisation. An diesem Ort lässt sich nicht nur besonders schön in Nostalgie schwelgen, man kann sich auch wunderbar ärgern, dass man seine Spielsachen einst aus den Kartons gerissen, abgespielt und irgendwann entsorgt hat. Die mit Pflegeprodukten ausgestatteten Nerds haben also auf lange Sicht gewonnen: Glückwunsch! Der Kosmos der akribischen Sammelwütigen ist etwas, was man von außen bestaunen oder auch mit Skepsis betrachten mag. Längst aber ist die Retro-Kultur kein Nischenphänomen mehr und viele Stände bieten etliche Optionen für den kleineren Geldbeutel an – schön, wenn man sich hie und da selbst ein kleines Geschenk machen kann. Schön auch, dass Erwachsene, die die eigene Identität prägende Spielzeuggeschichte feiern, heute nicht mehr als kindisch gelten, sondern dass Spiel und Fantasie mehr und mehr Selbstverständlichkeit in allen Altersstufen erfährt.

My Little Pony: Big Player im Retro-Gewerbe © Anna Sellmann