Geht man unbedarft durch die Straßen vom Herner Stadtteil Wanne, würde man hier vermutlich kein Videospielparadies erwarten. In einem ehemaligen Karstadt-Gebäude mittendrin jedoch erstreckt sich eine Ausstellungsfläche, die aktiv genutzt werden kann, von rund 30 PCs und Heimcomputern, 25 Konsolen, über 40 Flippern, mehr als 80 Arcades und einer Mario Kart Wall für bis zu acht Spieler gleichzeitig.
Jeden dritten Samstag stehen die guten 850 qm für die Allgemeinheit zur Verfügung. Wichtig ist, sich rechtzeitig ein Ticket zu organisieren, denn die Veranstaltungen sind in der Regel ausgebucht.
In einem Interview mit Jakob Pyttlik, der sich unter anderem um die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins kümmert, geht es auch darum, warum sich die Arcade-Kultur in unseren Breitengraden so zurückhaltend entwickelt hat, während sie in anderen Ländern boomte.
Insert Coins: Seid ihr ein Haufen von Informatikern und Ingenieuren oder wie kann man sich das vorstellen?
Ich bin tatsächlich Informatiker (lacht) und wir haben hier auch ein paar Ingenieure rumlaufen. Aber nein, tatsächlich ist es ganz wild gemischt. Du kannst hier vorbeikommen und einfach ein netter Mensch sein, das reicht völlig, oder du kannst dich hier auch stundenlang einschließen und am Lötkolben schnuppern: Bitteschön, ist alles möglich!
2014 wurde der Verein gegründet von ein paar Leuten, die gerne Mario Kart zocken wollten. Und die haben eigentlich den ganzen Tag nur den Fun-Racer gespielt und es sich gut gehen lassen. Dann kam das Angebot, einen Klassenraum in einer ehemaligen Schule zu mieten und gar nicht so spät danach kam Ingo vorbei – das ist unser erster Vorsitzender im Moment – und meinte, er habe auch noch ein paar Automaten rumstehen. Irgendwann war dann der Klassenraum voll mit Geräten und Menschen.
Wieviele Mitglieder hat Insert Coins?
Wir haben aktuell über 100 Mitglieder.
Auf welche Ausstellungsstücke seid ihr denn besonders stolz, mal abgesehen von der prominenten Mario-Kart-Wall?
Ich möchte zunächst die Mario-Kart-Wall erwähnen…
Je nach dem, wen du fragst, ist es halt echt schwierig, was als besonders cool wahrgenommen wird. Wir haben einerseits die neusten Stern-Flipper, bei denen ein Gerät um die 10.000 € kostet. Da sagen natürlich einige Leute „Geil, super!“. Dann fragst du andererseits aber die PC-Leute und die sagen dir, wir haben hier einen PC 98. Da fragen sich dann die meisten, was das sei. Daraufhin bekommt man die Antwort „Ein Japan-Gerät, daran wurden Arcade-Spiele programmiert“, Aha! – Wir bedienen also manchmal die Nische in der Nische.
Auch an die Kiddies wird gedacht – hier haben wir beispielsweise einen Rollercoaster-Ride, in den ich beim besten Willen nicht mehr reinpasse.
Kurzgesagt: Wir versuchen für jeden was zur Verfügung zu stellen, aber jede Person wird dir etwas anderes sagen, wenn es darum geht, was am eindrucksvollsten ist oder worauf sie besonders stolz ist.
Bedeutet es euch viel, die Geräte zum freien Spiel zur Verfügung zu stellen? Man sollte ja meinen, dass diese Praxis auf Dauer wertmindernde Konsequenzen hat?
Ja, das bedeutet uns sehr viel – und ja, die Nutzung wirkt sich auf die Geräte aus – vor allem bei Flippern ist das so. Das Spielfeld wird von so einer Metallkugel malträtiert und da musst du natürlich an den Protektoren arbeiten. Diese müssen, zusammen mit vielen anderen mechanischen Teilen, irgendwann auch erneuert werden. In aller Regel gehören die Geräte den Mitgliedern. Die stellen ihre Geräte gerne in den Club und wenn was kaputt geht, dann versuchen wir mit vereinten Kräften, das Problem zu beheben.
Viele Leute, die hier sammeln, haben zuhause keinen Platz und die stellen ihre Geräte vielleicht auch aus diesem Grund hier aus. Natürlich ist es cool zu sehen, wenn dann junge Leute damit spielen, die kennen das gar nicht mehr. Ich persönlich kenne das von früher noch vereinzelt, dass mal ein Automat in einer Pommesbude stand. Oder aus dem Urlaub, wo schon mal im Keller von Drei-Sterne-Hotels in Südeuropa die ganzen Geräte standen. Das war dann die Abendbeschäftigung.
Das schließt an der nächsten großen Frage an: Es ist ja sehr komplex, warum es keine richtige Arcade-Kultur in Deutschland gab. Welche Gründe meinst du, sind hierfür besonders ausschlaggebend?
Es gab mal eine Zeit, da standen Flipper überall in Kneipen rum. Da aber haben Kinder nichts zu suchen. Und in Spielhallen gilt der Jugendschutz. Geräte die man dort hätte reinstellen können, sind nur Erwachsenen zugänglich – so kann sich natürlich keine Jugendkultur entwickeln.
Weil Flipper zum Beispiel in der Wartung zu teuer wurden, hatte man sie irgendwann zu hunderten auf den Schrott verfrachtet. Heute erzielst du damit wieder vier-, fast fünfstellige Preise, beispielsweise für einen Indiana-Jones-Tisch, weil die einfach selten geworden sind. In Deutschland gab es einfach nicht die Räume, damit sich Arcade-Kultur entwickeln kann. Auch was die Gesetzeslage betrifft, waren andere Länder viel lockerer. Die Leute hier haben sich schlichtweg letzten Endes mit Heimkonsolen arrangiert.
Wie genau sieht das Arcade-Automaten-Hunting aus? Lauert ihr permanent bei Kleinanzeigenportalen oder gebt Gesuche in Zeitungen auf? Oder cruist ihr auf gut Glück international Etablissements ab, mit der Hoffnung, da noch ein paar Scheunenfunde zu entdecken?
Man kennt sich schon in der Szene und es kann immer gut sein, dass sich plötzlich einer meldet und meint, er müsse ein Gerät loswerden und ob man nicht Bock hätte, das zu übernehmen.
Letztens hatten wir ein Angebot, da konnten wir hinfahren und 30 Automaten abholen – und da musst du halt in der Lage sein innerhalb von ein, zwei Tagen einen 7,5-Tonner zu organisieren und beispielsweise nach Holland zu fahren. Über Preise muss man sich auch einig werden, aber wir veranstalten dann oft ein spontanes, vereinsinternes Crowdfunding. Wir haben für solche Fälle mehrere WhatsApp-Gruppen und wenn ein neues altes Gerät auftaucht, schließen wir uns zusammen – und viele Mitglieder geben gerne ein paar Euro, um den Verein zu unterstützen, so nach dem Motto „Ich gehe den ganzen Tag arbeiten und hab gerade 50 € über – schmeiß ich gerne in den Topf“. Manchmal reicht es dann und man wird sich handelseinig. Dann holen wir die Maschine ab, restaurieren sie, bauen sie wieder auf.
Teilweise erfährst du auch über Anzeigen etc., dass was auf dem Markt ist und dann kümmern wir uns drum, so gut es eben geht – viele Angebote sind aus den Niederlanden oder Belgien, aber auch aus dem südlicheren Raum. In solchen Fällen müssen wir auch immer die Entfernungen mit einkalkulieren.
Und manchmal kommen Leute vorbei und spenden ihre alten Geräte, die irgendwo auf dem Dachboden verstauben – denn sie wissen: Bei uns bekommen die Stücke ein gutes Zuhause!
Achja: Die Arcade ist übrigens wieder voll.
Stirbt das Wissen etwa rund um elektromechanische Flipper und sonstige überholte Gerätschaften nicht aus? Seid ihr in der Lage, das Wissen rund um die Instandhaltung im Verein zu konservieren? Die Teile werden ja oft seit einigen Jahrzehnten nicht mehr gebaut.
Da hast du recht. Das ist auch eine Generationenfrage – die Leute die sich für das Elektromechanische interessieren, sind oft auch mit diesen Geräten groß geworden. Und die werden natürlich auch nicht jünger. Da ist jedenfalls ganz viel Wissen in deren Köpfen drin, was nicht verlorengehen darf.
Wir haben aber auch viele junge Leute, die sich engagieren und was lernen wollen. Nur wo sollen sie es denn lernen? Den klassischen Fernsehtechniker, den gibt es heute zum Beispiel nicht mehr. Einen Fernseher reparieren ist oft gar nicht mehr so einfach möglich – solche Berufe und Fähigkeiten sterben zunehmend aus.
Deswegen geben wir gerne auch Wissen weiter. Dann setzen sich da unterschiedliche Leute zusammen und gucken sich etwas mit dem Mikroskop an: „Das ist also eine kalte Lötstelle“- und dann wissen alle, wie sowas aussieht und wie man das repariert. Wir wollen demnächst auch mehr Jugendarbeit betreiben, um auch den Kleinsten im Club ein bisschen was über die Innereien der Geräte zu erzählen. Du siehst: Wer Bock hat, kann hier jede Menge lernen.
Das Clubleben sieht übrigens so aus, dass wir uns immer mittwochs um 17 Uhr treffen, das läuft so bis 21, 22 Uhr. In NRW fallen ja auch ein, zwei Feiertage auf einen Donnerstag, weshalb wir dann auch mal ein bisschen länger machen können – „Zock in den Feiertag“ heißt das dann. Dann gönnen wir uns auch mal ein Bierchen, quatschen ein bisschen und haben eine gute Zeit.
Ihr habt also auch noch Räumlichkeiten für Werkstatt-Tätigkeiten im Haus?
Wir haben ein paar Räume in der Etage über der Ausstellungsfläche angemietet, die als Werkstatt und Ersatzteillager dienen. Und dann steht uns noch Lagerfläche zur Verfügung, wo beispielsweise die Konsoleros ihre Joysticks und all das aufheben. Das muss natürlich auch alles mit, wenn wir umziehen…
Ihr habt bald einen neuen Standort?
Ja, wir ziehen wieder um. Wir haben in besagter Schule angefangen (2. OG), dann ging es in den Keller eines Altersheims (KG), danach nach Wanne (1. OG) und bald wahrscheinlich ins EG – das ist eine Premiere für uns.
Das Altersheim mit Pflegestation hatte übrigens bereits geschlossen, als wir eingezogen sind. In der Wohnanlage wohnen – heute immer noch – vorwiegend ältere Menschen. Dort hatten wir auch ein paar echt nette Bekanntschaften. Ich weiß nicht, ob die Menschen noch alle unter uns weilen, das ist bei einem solchen Einrichtungen ja etwas volatil – aber die kamen damals auch gerne vorbei!
Wir haben als Mini-Eröffnung zunächst nur für die Hausbewohner aufgemacht und in alle Briefkästen Flyer reingeworfen und kommuniziert, dass es Kaffee und Kuchen gibt. Es gab dann zum Beispiel auch eine Omi, die hat ihren Rollator zur Seite geschoben und sich an einen Flipper gestützt „Das Gerät kenn’ ich, das stand bei mir in der Kneipe“. Wir hatten dort auch eine Kegelbahn und haben manchmal die alten Herrschaften zum Kegeln begleitet – dazu gab es dann auch mal ein Sektchen. Prost, Ingo!
Dann trat aber der für uns völlig überraschende Fall ein, dass die Location auch wieder zu klein wurde und dann kam unser jetziger Vermieter auf uns zu, und fragte, ob wir nicht Lust hätten, ein wenig Kultur nach Wanne zu bringen.
Als wir hergezogen sind, wussten wir, dass wir die Räume nur auf Zeit bekommen. Wir haben dann in den Vertrag mit aufnehmen lassen, dass uns unser Vermieter gerne auch eine Alternative anbieten kann, wenn die Zeit abgelaufen ist. Das hat er netterweise auch getan und nach ein wenig interner Diskussion im Club, harten Vertragsverhandlungen und unerwartet toller Unterstützung der Stadt Herne – nochmals vielen Dank an den OB und sein Büro – können wir nächstes Jahr die neue Location in der Herner Innenstadt ansteuern. Da geht es dann weiter – mit mehr Fläche und mehr Automaten.