„„… Liebe gibt’s im Kino“ wäre schön. Und „Lotte“, er muss unbedingt „Lotte“ spielen““ zischelt es in einer hinteren Sitzreihe. Von Applaus begleitet betritt der Chansonnier dann die Bühne und beginnt am Flügel mit „Der Typ von nebenan“: Stephan Sulke fesselt das Publikum schon mit den ersten Tastenanschlägen: Melancholisch, nachdenklich, gefühlvoll.
Manchmal da glaube ich
Irgendjemand steht im Sonnenlicht
Der auf mich aufpasst
Und dann wieder glaub ich’s nicht
In den folgenden guten zwei Stunden flaniert Sulke locker zwischen Synthesizer, Gitarre und Flügel umher und stellt sich gerne nach den Songs zu einer Verbeugung direkt vor sein Publikum, welchem er dann die Hintergrundgeschichten zu seinen Liedern berichtet. Da wäre die Story seiner anfänglichen Skepsis zu Grönemeyers Cover von „Ich hab‘ dich bloß geliebt“, dem er erst nach der ins Haus getrudelten Gema-Abrechnung regelrechte Genialität unterstellte oder der Rückblick auf eine Interpretation seines Hits „Lotte“ in der Rudi-Carrell-Show „Am laufenden Band“, die er neben einem bös dreinschauenden Bären in einem Käfig durchzog, der nicht von der Kamera eingefangen wurde. Überhaupt stand Humor hoch im Kurs zwischen den meist ernsten Titeln, so bekam das Publikum eine Hand voll exzellenter und zeitloser jüdischer Witze vorgetragen, die dem Abend noch einmal eine andere Farbe verliehen.
Heute weiß ich nicht hab ich etwas falsch gemacht
Hab ich etwas übersehn‘, etwas nicht bedacht
Lottchen weißt du noch
Du aber damals liebten wir uns doch
Besonders bemerkenswert am Konzert war die Stille des Publikums. Wo bekommt man so etwas heute noch? Nur ab und an flog eine Bierflasche zwischen den Bänken um und sorgte für ein hallendes Klirren innerhalb der ursprünglich neugotischen Kirchenmauern.
Sulkes lässige Art könnte man als Alters-Coolness betiteln. Es sind manchmal nur gehauchte Worte, die er von sich gibt – zu Weilen so zart gesprochen, dass sie unterzugehen drohen. Die Zuschauer hängen jedoch stets an seinen Lippen.
Abwechslungsreich gestaltet sich der Abend. Noch nicht sicher, ob er sein neues Album besser postum veröffentlichen lassen möchte, gibt er Einblick in die Lyrik eines neuen Songs, der mit dem Mysterium aufräumt, warum die meisten Tiere bei weitem nicht so alt werden wie wir Menschen, womit er für viel Lachen, bei gleichzeitiger Bewunderung für so viel sprachliches Geschick sorgt.
Plötzlich dann große Spannung im Saal als der in China geborene Künstler die ersten Akkorde von „Lotte“ anspielt: Andächtige Vorfreude. Nach einer kurzen Zwischenmoderation überspringt Sulke dann das so sanfte Intro und startet direkt im dynamischeren Teil des Liedes. Ausgerechnet hier will der Funken dann doch nicht überspringen. Bei allem Respekt erscheint diese Bühnenversion des Stücks etwas heruntergespielt.
Ganz anders kommt die Zugabe „Der Mann aus Russland“ an, ein Stück, das noch aus vergangenen Sowjet-Zeiten stammt.
Und der Mann aus Russland konnte lachen
Fröhlich sein und Witze machen
Hob dieweil sein Glas und trank mir zu
Und der Mann aus Russland konnte lachen
Fröhlich sein und Witze machen
War ein Mensch genau wie ich und du
Standing Ovations für diesen Titel, der eine Lanze für die Menschlichkeit im Allgemeinen bricht. Zur gleichen Zeit stehen im Foyer ukrainische Frauen, die selbstgemachte Souvenirs und Kuchen auf Spendenbasis für die Ukraine veräußern – an sie werden viele der Zuschauer gedacht haben, wenn es im Titel laut „Nastrovje“ heißt. Es ist eine hochgradig komplizierte Zeit.
Trauriges Schnauben des Publikums, als Sulke dann endgültig die Bühne verlässt. „Der Mann ist 80, der gehört ins Bett“, klärt eine Frau in einer der vorderen Reihe beim Greifen ihrer Jacke ihre Sitznachbarin auf.