Streit um Hamburger Schule: Warum Christiane Rösinger die Richtigen unterstützt

„Und warum hat niemand den Zauberer Manuel Muerte interviewt?“ feuert es in einem der Kommentare zur aktuellen Hamburger-Schule-Debatte, ausgelöst von einer NDR-Doku von Natascha Geier (zur Besprechung der Honigpumpe). Dieser Ticker präsentiert das Wichtigste zur aktuellen Diskussion rund ums Thema. Wie sachlich muss eine Dokumentation mit dem Titel „Hamburger Schule – Musikszene zwischen Pop und Politik“ sein? Wie wichtig ist der Diskurs zum Thema allgemein? Innerhalb dieses Beitrags treten verschiedene Kommentare von unterschiedlichen Threads miteinander in Dialog.

© Nora Schulte-Coerne

Im Grunde haben sich drei größere Lager auf Facebook aufgetan, in denen wiederum unterschiedlich gedacht wird. Auf der einen Seite wird wild unterhalb zweier Posts des Musikers Bernd Begemann diskutiert, die die Dokumentation verreißen und vermeintlichen Machtmissbrauch kommunizieren. Auf der anderen Seite findet viel Austausch im Kontext eines anderen Posts vom Musikjournalisten Linus Volkmann statt, der den Zweiteiler zwar auch nicht explizit lobt, aber die Regisseurin gewissermaßen in Schutz nimmt. Seine Meinung: Man solle lieber eine eigene Dokumentation drehen, anstatt die Filmemacherin persönlich zu attackieren. Außerdem: Ein von den Grether-Schwestern (ehemals Spex) initiierter Strang, der leidenschaftlich dafür plädiert, dass ein falsches Bild der unmittelbaren Gestaltung jener Szenerie von weiblicher Seite in dem TV-Beitrag transportiert wird. Da dieser sich weniger zum pointierten Verkürzen eignet, sei hier dringend dazu aufgerufen, sich den Thread in voller Länge durchzulesen.

Es tut sich aus unterschiedlichen Gründen ein Spannungsfeld auf. Am wirkungsmächtigsten erscheint – direkt nach der höchst interessanten Debatte angestoßen von Kerstin und Sandra Grether – der direkte Dialog zwischen Begemann und Volkmann. Der Sänger stellt es so dar, dass man sich vorstellen solle, die von Linus Volkmann maßgeblich beeinflusste, ehemalige Musikzeitschrift Intro, wäre in einem Film thematisiert worden und er würde nicht vorkommen und bei Veranstaltungen im Kontext des Beitrags nicht eingeladen oder gar explizit ausgeladen worden sein. So jedenfalls soll es Begemann ergangen sein, was das NDR-Format betrifft. Auch das Realisieren einer eigenen Dokumentation sei für Begemann keine Option. Was diesen Punkt betrifft, ist etwas Realismus auch nicht verkehrt. Eine TV-Dokumentation lässt sich nicht so leicht umsetzen. Und die vielen 10.000 €, die in solch ein Projekt fließen, werden nicht mal eben so wieder zur Verfügung gestellt. Selbstredend war der Film eine Chance und natürlich waren die Erwartungen hoch, da der Zweiteiler „Hamburger Schule“ heißt und sich eben doch bis zu einem gewissen Grad verpflichtet zeigen sollte, eben diese aufzuzeigen. Wo Volkmann sicher recht hat, ist, dass man selbst zum Diskurs beitragen sollte und das geht nun einmal auch durch DIY-Projekte. Eine derartige Präsentationsfläche wie die NDR-Doku wird ein solches Projekt aber nie erlangen können.

Was Linus Volkmann jedenfalls in gewohnt eloquenter und gleichzeitig beschwichtigender Weise antwortet, ist, dass sein Interesse für Bernd Begemanns Blick auf die Thematik gigantisch ist, er auf jeden Fall mehr darüber erfahren will, warum er beispielsweise nie bei einem der drei relevanten Hamburger-Schule-Labels erscheinen konnte (Lado, What’s so funny about, Buback). Dazu dann noch eine Podcast-Einladung.

Daraufhin postet Begemann seinen jüngeren Song „Es hat einen Vorfall gegeben“. Schweigen.

Vielfach wird im Linus-Thread kommuniziert und geliked, dass eine Dokumentation keinen Anspruch auf Vollständigkeit zu haben hat, dass sie von Natur aus subjektiv zu verstehen sei und dass es eben keinen wissenschaftlichen Anspruch gebe. Eine Kommentierende hat das Bedürfnis über ihre Doktorarbeit zu sprechen und darüber, dass die Kriterien ihrer Studien nicht auf so einen Film übertragbar seien. Vielfacher Applaus für diese doch etwas eitle Analogie. Ist das wirklich ein sinnhafter Vergleich? Der Hamburger Musiker Wolfgang Müller (nein, nicht der von Die Tödliche Doris), der zu Unrecht (noch) nicht allzu bekannt ist, verweist an anderer Stelle darauf, dass es sehr wohl so etwas wie eine historisch einzuordnende Geschichte der Hamburger Schule gebe und gibt zu verstehen, dass er das Aussparen von wichtigen Protagonisten für kritisch hält.

Bernadette La Hengst und Knarf Rellöm erinnern den Songwriter Begemann auf die Klatsche hin an seinen eigenen Titel „Gemäßigt ist das neue Radikal“.

Der ehemalige Spex-Redakteur Hans Nieswandt schaltet sich aus Südkorea ebenfalls in die Diskussion ein und erklärt, dass er es wenig nachvollziehen kann, dass Platz dafür war, über seine frühere Band Whirlpool Productions und derer Nummer-Eins-Hit in Italien zu sprechen, Bernd Begemann aber nicht wirklich vorkam, obwohl sogar Filmmaterial seiner Show eingeblendet wurde, welches nur genutzt worden ist, um seine Gäste Tocotronic thematisch zu vertiefen. Dies sei nun einmal der Elefant im Raum. So eng war das Format dann doch nicht gestaltet, dass man viele zentrale Figuren einfach aussparen musste.

Unter Linus‘ Beitrag meldet sich unter dessen Udo Lindenberg zu Wort. Jedenfalls soll von ihm ausgerichtet werden, dass es nur Rockmusik sei und man den Trouble mal locker sehen solle. Die Validität des Kommentars wurde bislang noch nicht überprüft, aber die Investigativabteilung der Honigpumpe arbeitet daran.

Während Begemanns erster Beitrag in erster Linie ein recht scharfer Angriff auf die Dokumentation und auch die Regisseurin als solche war, wirft der zweite Kommentar tiefergehende Fragen auf. So soll Natscha Geier mit dem ebenfalls nicht vorkommenden Tilman Rossmy verpartnert gewesen sein.

Jens Friebe, Berliner Musiker und Autor, kommentiert bei Bernd, dass er ihn und Tilman Rossmy (dessen Band Die Regierung Friebe unter anderem selbst wunderbar gecovert und in ein anderes Genre überführt hat) vermisse und es schade finde, dass eben diese Konflikte innerhalb der Hamburger Schule nicht Gegenstand der Dokumentation seien.

Fehlfarben-Gründungsmitglied Thomas Schwebel merkt außerdem an, dass eine Neue-Deutsche-Welle-Doku des ZDF weismachen wollte, dass ohne Nina Hagen keiner von ihnen je Musik gemacht hätte. Hier bezieht er sich auf Bernd Begemanns Kritik an dem prominenten Vorkommen der Goldenen Zitronen in der Hamburger-Schule-Berichterstattung, bei der sie praktisch als Wegbereiter und zentrale Figuren der Bewegung eingeführt wurden.

Christiane Rösinger (unter anderem Lassie Singers) distanziert sich von Aussagen, die von ihr aufgezeichnet und ausgestrahlt wurden, die sie aber zu dem Zeitpunkt immer noch nicht gesehen hat. Sie verstehe Bernds Kränkung, macht aber auch noch einmal auf spezifische Probleme männlicher Strukturen jener Zeit aufmerksam und thematisiert in einem weiteren Kommentar, dass sie das Ausgeschlossenen-sein nur allzu gut kenne. Des Weiteren unterstütze sie die „Richtigen“.

Bernd echauffiert sich, kann es nicht glauben, dass Rösinger derart leichtfertig zwischen Richtig und Falsch unterscheidet, worauf Rösinger schreibt, dass es sich um einen T9-Fehler gehandelt habe und sie die „Regisseurin“ unterstütze. (Immer noch mit T9-Handy unterwegs? Die sind mit Facebook kompatibel? Was man nicht alles lernt. Christiane Rösinger ist jedenfalls ohne Zweifel eine klasse Type – pure Integrität!)

Erdmöbels Bassist und Solokünstler Ekki Maas sieht die Dokumentation – nicht ganz ernst gemeint – als Neuinterpretation einer Machart in Fraktus-Manier und meint, dass Fehlbehauptungen praktisch inhärent für ein solches Format seien.

Was viele auf allen großen Kommentarsträngen kritisieren, ist der Selbstbezug und das vermeintlich „Beifallheischende“ der Dokumentation, da sich die Regisseurin immer wieder selbst in den Mittelpunkt des Geschehens stellt und beispielsweise mit eigenen Schnappschüssen von Szene-Musikern ihr Mittendrin-sein untermauern will. In B-Movie von Mark Reeder, der an dieser Stelle wärmstens empfohlen wird, funktioniert das essayistische Verfahren beispielsweise besser. Hier wird über das avantgardistische West-Berlin der 80er berichtet. Der Engländer wohnte unter anderem mit Nick Cave zusammen, spielte mit seiner Band als Tour-Support für New Order oder war prominent mitwirkend in den Filmen Jörg Buttgereits zu sehen und hat bei all dem vor allem erzählerische Selbstironie und kritische Distanz für sich übrig.

Nicht unerwähnt bleiben darf eine rege Beteiligung jener, derer Erwartungen die Dokumentation nicht unerfüllt ließ. Einige sprechen davon, dass der Kontext eines öffentlich-rechtlichen Fernsehbeitrags zwangsläufig gewissermaßen oberflächlich sein müsse, um niemanden abzuschrecken. Andere hielten „Hamburger Schule – Musikszene zwischen Pop und Politik“ für unterhaltsam und verstehen das Ausmaß des nachträglichen Kommunikationsbedarfs nicht. Die meisten aber werden sich nicht am Austausch in den Sozialen Medien beteiligt haben. Denn es sind doch – wie auch schon einst beim Leserbrief – die Inbrünstigen, die oft Wutbeladenen (gegen welches Lager auch immer), die sich mitteilen wollen.

Während die letzten Zeilen des vorliegenden Artikels redigiert werden, wurde öffentlich, dass die taz diesem Beitrag zuvorgekommen ist. Sie brachte eine sehr ausführliche Sammlung der Kommentare heraus, unterteilt in sieben Kapitel.

Bleiben Sie auf dem Laufenden und viel Reflexionsvergnügen mit der Vertiefung des Materials mit den Grether-Schwestern und der taz-Kollektion. Besser noch: Schalten Sie sich selbst in diese vielleicht niemals enden wollende Debatte ein.