PJ Harvey ist neben Björk (Die Honigpumpe berichtete) der zweite große popkulturelle Name, mit dem das szenische Großevent Ruhrtriennale wirbt. Niemand geringeres als Sandra Hüller – ja, genau: unsere Frau in Hollywood! – verkörpert die Songs der schottischen poetischen Sängerin in „I Want Absolute Beauty“. Inszenatorisch wird Einiges aufgefahren: Drei beteiligte Choreographen, das namenhafte Tanzensemble (La)Horde, eine Live-Band, ein über alles gestellter Regisseur (Ivo Van Hove) und und und. Zu viele Köche? Nein: Tatsächlich verzahnen sich die verschiedenen Elemente in der Bochumer Jahrhunderthalle, unter der großen Glocke von Harveys Musik ganz hervorragend. Es ist ein träumerisches theatrales Ereignis, das mühelos Videokunst, Tanz, Gesang, Schauspiel und Live-Musik miteinander verknüpft zu einem Gesamtkunstwerk, das seines Gleichen sucht.
Zugestehen muss man, dass das Konzept, das Oeuvre einer musikalischen Legende als Dreh- und Angelpunkt eines Live-Abends zu wählen, nicht wirklich neu ist. So verzaubern etliche Musicals von Abba über Lindenberg bis Elvis täglich viele hundert Besucher im ganzen Land. Die Formel lautet: Eine grobe Handlung erfinden, die viel Luft für allerlei musikalisches Ausufern lässt. Natürlich befindet man sich bei „I Want Absolute Beauty“ auf dem Felde der zeitgenössischen Hochkultur und die Mittel fallen etwas abstrakter aus. Dennoch: Der Überbau „PJ Harvey“ ist mehr als die halbe Miete, ihre Songs ermöglichen den affektiven Bezug zum kompletten Kunstwerk. Es sind an der Zahl 26 Lieder, die Hüller interpretiert. Und wie sie das tut: mal zart und leicht, mal rau, laut und voller Härte. Immer wieder Szenenapplaus – es handelt sich um eine energiegeladene Arbeit, ein leidenschaftliches Werk voller körperlicher und stimmlicher Ekstase.
„I think the way we are as we get older
Is a result of what we knew when we were children”
Die Arbeit sortiert sich in folgende Kapitel ein: Grow, Love and Personal and Political Disappointments, Big Exit, Back Home. Dabei verändert sich das Bühnenbild nur marginal, indem beispielsweise große Pflanzen auf der mit Erde bedeckten Spielfläche verschoben werden. Dass die besungenen Katastrophen wie Krieg auch noch mit militanten Tänzen und erschütternden Bildern auf der riesigen Leinwand bebildert werden, kann den Betrachter bei Zeiten schon erschlagen. Es ist nur selten ein Abend der ruhigeren Momente und Zwischentöne.
Das Narrativ von einer Frau, die ins pulsierende New York zog, voll aus dem elektrisierenden Ort schöpfte und an die Kreidefelsen ihrer Heimat zurückkehrte und immer über das Leben und das große Ganze sinnierte, erschließt sich jedenfalls wunderbar, auch wenn nicht jede Zeile der Songs sich zähmen lässt und in die Kapitel passen will: umso schöner eigentlich, dieses Eigenleben von PJ Harveys Lyrik.
„Oh, lover, please release me
My arms too weak to grip
My eyes too dry for weeping
My lips too dry to kiss
Calling Jesus, Please
Send his love to me!”
Ein Glück, dass um Sandra Hüller eine ganz eigene Version einer Figur entwickelt wurde, die diese dringlichen Songs schmettert. Die „Show“ wirkt befreit von Rockklischees und erweist sich als völlig eigenständiger assoziativer Raum. Am Ende steigt die Wertschätzung sowohl für die Schauspielerin als auch für PJ Harvey, derer Lyrik man im Obertitel zweisprachig mitlesen kann. Ob nun jede inszenatorische Entscheidung das Ereignis möglichst pompös erscheinen zu lassen, es visuell durch Tanz und Video zu unterstreichen, richtig war, ist fraglich. Dass das, was die Musik von PJ Harvey stellenweise zerbrechlich bis hin zu morbide wirken lässt, mit Action aufgewertet werden muss, ist eher ein Trugschluss. Stellenweise hätte ein wenig mehr Zerbrechlichkeit und Zurückhaltung dem sehr körperlichen, größtenteils lauten Ereignis nicht schlecht getan. Grandios ist die Inszenierung trotz ihrer Aufgepeitschtheit und stellenweisen Überladung von Eindrücken dennoch.
„Big black monsoon
Take me with you“