Retro-Zauber auf der Gamescom 2024

29,50 € die Eintrittskarte, ein Hotdog ab 6 € (ob vegan oder nicht), Softdrink: 5,50 €. Gesalzen sind die Preise auf der Videospielemesse zum größten Teil schon. Was aber pfeffert die Retro-Area in Halle 10.2 in diesem Jahr alles raus?

© Julian Gerhard

Die Retro-Halle ist ein fröhlicher Mix von ausstellenden Publishern wie Strictly Limited, Vereinen, die Videospielkultur bewahren und pflegen, größeren Retro-Verkaufsshops, der Fachpresse sowie einem Live-Programm auf einer zentralen Bühne. Der ganze Bereich schließt an die Indie-Abteilung an und ist somit ästhetisch in bester Gesellschaft.

© Julian Gerhard

Wirklich positiv zu bewerten ist die Teilnahme der Return und der Retro Gamer. Erstere Zeitschrift ist nicht mehr am Kiosk erhältlich, sondern nur noch über ihre Website bestellbar. An ihrem Stand lassen sich unkompliziert vergangene und aktuelle Exemplare nachkaufen. 

Der deutschsprachige Ableger des britischen Magazins Retro Gamer ist heute umfangreicher als je zuvor und erscheint nun im Eigenverlag, nachdem sie im vergangenen Jahr ökonomisch so ins Straucheln kam, dass sie sich sogar schon von ihrer Leserschaft verabschiedet hatte. Kommando zurück, ein Glück! 

Chefredakteur Jörg Langer im Interview mit Michael Hengst © Julian Gerhard

Mit Gästen wie der Spielejournalismus-Legende Michael Hengst gibt es Interviews direkt am Retro-Gamer-Stand, leider aber mit mäßigem Ton. Warum die Retro Gamer nicht mit der großen Bühne zusammenarbeitet und derartige Programmpunkte im professionellen Setting abhält, bleibt ein Rätsel. Auf der Hauptstage wirkt das Programm tatsächlich etwas in die länge gezogen und recht unnötige Slots wie ein doch sehr improvisiert wirkendes Retro-Quiz, stehen auf der Tagesordnung.

Aber nicht alles ist dort schlecht, so spielt täglich der Chiptune-Künstler Tronimal ein eindrucksvolles Set mit seinen Gameboys. Sogar nutzt er den in den 90ern hart gefloppten Virtual Boy von Nintendo als Musikinstrument.

Tronimal © Julian Gerhard

Besonders interessant ist es neue Spiele für alte Konsolen anzutesten. Das Kölner Ladenlokal Retrospiel sorgt hier für besonderes Futter. Sie fahren einiges auf, auf SNES, Mega Drive, Dreamcast und so weiter. Auch ein paar einfallsreiche Rom-Hacks lassen sich anderswo an ein paar Stationen spielen. Die Szene lebt.

Man sieht die herrlichsten Röhrenmonitore in Kombination mit originaler Hardware, auch wenn zu großen Teilen Klonsysteme mit HDMI-Schnittstelle und Mini-Konsolen ihren Siegeszug feiern und omnipräsent an Flachbildschirmen zu finden sind.

Skurrilitäten gibt es auch zu entdecken: Der Hugomat, ein in einer Telefonattrappe verbauter Raspberry Pi mit installierter Hugo-Software, macht es möglich, den Kobold per Originalsteuerung zu spielen. Tatsächlich fühlen sich die metallenen Telefontasten anders an als der Ziffernblock einer Tastatur und geben auch anders nach. Tolles Projekt von der Crew von Retromat!

© Anna Sellmann

Ganz wunderbar ist es, dass man in Daytona USA mit insgesamt 14 (!) Spielern Rennen starten kann. Hierzu wurden ebensoviele Lenkräder und Pedale an und unter den Tischen installiert: Ein Wahnsinn! Verantwortlich zeigt sich hier die German Pinball Association.

© Julian Gerhard

Gut hätte auch der ein oder andere große (Stay Forever, Spieleveteranen, Game Not Over) oder kleine (Grobe Pixel, To Be On Pod) Retro-Podcast auf der Gamescom seine Zelte aufschlagen können: Besser als das Karaoke-Programm auf der Hauptstage wäre ihr Output allemal gewesen. Es gibt also noch eindeutig Potential, speziell im Live-Bereich.

Alles in allem ist Halle 10.2 ein großes Vergnügen, man schlendert zwischen Vitrinen mit Games aus allen Konsolengenerationen, etlichen flackernden Bildschirmen, Cos-Playern und etwas Live-Musik herum und merkt, wie das Feuer vergangener Jahrzehnte brennt und etliche kreative Köpfe ihre Liebe zur Retrokultur in teils komplexe Taten umsetzen. Kinder sitzen auf Sitzsäcken und spielen Amiga 500, jung und alt nehmen an einem Tetris-Contest teil und alle füllen sie ihre leeren PETs auf dem WC mit Leitungswasser auf. Bleibt zu hoffen, dass die Retro Area nicht nur am Leben gehalten wird, sondern weiter wächst und begeistert.

© Anna Sellmann