Fotografin Katja Ruge im Interview

„Mein Anspruch war, dass dieses Gefühl verschwindet“

© Konrad J. Schmidt

Für zahlreiche Bands mit verzerrtem Selbstbild stellt das Fotoshooting ein wahres Karrierehighlight dar. Gerne bringen sie auch eigene Ideen mit: „Mit schiefen Körpern versteinert lässig an ein Stück Mauer lehnen“, „Im Industriepark Löcher in die Luft starren“ oder – total verrückt – „Auf drei! alle ulkig in die Luft springen“ . Die Quelle für jene Instant Classics wird nie versiegen! Rührend, wie sich vor der Linse bemüht wird, hilflose Posen mit Bedeutung aufzuladen – von einer Hoffnung getrieben, dass der Fotograf hier gleich das Meer für einen teilen wird.

Menschliche Schicksale der Traumbranche Fotografie: Morgens biometrische Passbilder inszenieren („Bitte jetzt auf gar keinen Fall lächeln“), abends bei der gebuchten Erotik-Session dezent Genitalien mit Satintüchern verhängen und am Wochenende dann die „Wir lassen uns in keine Schublade zwängen“- Gurkentruppe des Schwagers für den Emergenza-Contest ablichten. Katja Ruge konnte von all dem verschont bleiben. Auch ein kleinstädtisches Fotostudio mit eigentümlich unterhaltsamem Schaufenster war nicht für sie bestimmt. Mit ihrer intuitiven, nie an Genrecodes gebundenen Vorgehensweise, konnte sie sich einen Namen machen, der Bestand hat.

© Katz & Goldt

Julian Gerhard hat die Hamburgerin an ihrem Hauptarbeitsplatz zum Interview getroffen und zunächst gebeten, kurz die Umgebung für die verehrte Leserschaft zu beschreiben.

Katja: Wir sind hier in meinem Wohn- und Arbeitszimmer. Ich habe mich vor etlichen Jahren entschlossen nicht in einem Studio, sondern von zuhause aus zu arbeiten. Das hat den Vorteil, dass meine Katzen nicht alleine sind. Hier bewahre ich auch meine Schätze auf, die befinden sich in dieser betagten Kommode dort. Damit meine ich natürlich meine alten Negative. Und auf diesem Möbelstück sind, neben zwei analogen Plattenspielern, auch noch ein paar alte Prints, die nach langer Zeit irgendwie wieder bei mir angekommen sind. Ganz oben drauf liegt gerade Aphex Twin.

Julian: Bitte erzähl doch einem Fanboy einen Schwung über die Session mit Richard D. James (Aphex Twin, Anm. d. Red.).

Wir hatten verhältnismäßig viel Zeit. Ich bin eine Stunde mit ihm auf dem Kiez und eine Stunde an der Alster rumgerannt. Das Foto ist auf der Mitte des damaligen Spielbudenplatzes (Reeperbahn, Anm. d. Red.) entstanden. Ich hatte Vaseline dabei, die macht das Ganze so ein bisschen blurry. Er hockt vor mir, ich throne sozusagen mit der Kamera über ihm – eines meiner absoluten Lieblingsbilder von ihm.  (Vermutung der Red.: Die Vaseline wurde auf die Kameralinse und nicht auf den legendären Warp-Künstler selbst geschmiert.) Jahre später habe ich das Foto mit Ada nachgestellt.

Aphex Twin © Katja Ruge, 1994

J: Ich fürchte ich habe dich eben unterbrochen – zurück zur Homestory!

K: Der wichtigste Part in diesem Raum ist der Teppich, den meine Tante Lole in den 60ern – vermutlich auf LSD – selbst geknüpft hat: Mein ganzer Stolz! Ich habe ihn retten können. Mein Vater wollte ihn mit den Worten „Oh Gott, wer will denn solche Farben?“ entsorgen. Anhand dieses Teppichs richte ich hier sehr viel aus: Wie du siehst ist einiges in weinrot, orange, purple oder schwarz gehalten. Das sind Farben, die sich auch in meinen Klamotten, meinem Lippenstift und so weiter wiederfinden.

J: Wahnsinn, wie sehr dich dieser Teppich inspiriert! Warum hast du dich fotografisch so sehr auf Musik eingeschossen?

K: Das ist einfach passiert. Durch meine Musikaffinität war das logisch. Ich habe vielleicht einfach ein Gespür dafür, was Leute in dem Bereich brauchen, was sie sich wünschen. Jahrelang habe ich für Musikmagazine gearbeitet und tue das auch noch immer – wobei man ja gerade mitbekommt, wie viele ihre Existenz beenden. Das ist alles sehr tragisch. Ich kann aber sagen „Gott sei dank bin ich so alt, dass ich noch die fetten 90er Jahre mitbekommen habe“. Ich habe für so viele Magazine fotografiert – Intro, Musikexpress, Groove und so weiter – was einige Connections mit sich gebracht hat, die vielfach bis heute weiter halten.

M.I.A. © Katja Ruge, 2012

J: Wo hat sich das Business im Verlauf deiner Karriere am markantesten verändert?

K: Wir sind irgendwann komplett im digitalen Zeitalter gelandet, was viele Dinge nichtig gemacht hat – innerhalb der Fotografie genau wie bei der Musik. Wir hatten in Hamburg eine große Dichte an Plattenfirmen, die vielfach nach Berlin abgewandert sind. Dadurch ist ein Loch entstanden und die Bands sind promomäßig gar nicht mehr hergekommen. Das war für mich eine Weile lang richtig hart. In der Zeit in der ich was das betraf loslassen musste, konnte ich mich aber anders als Fotografin etablieren und über unmittelbare Kontakte für viele Pressefotos machen. Heute ganz direkt mit Künstlern über Social Media zu tun zu haben, finde ich ganz schön. Ich freue mich auch noch immer, wenn etwas im Print von mir erscheint, aber dadurch, dass ich so viele Veröffentlichungen in den 90ern und 2000ern hatte, ist das für mich jetzt nicht mehr so relevant.

Man hat heute so viele Möglichkeiten, man kann digital fotografieren oder analog – und Polaroid gibt es auch wieder! Aber in dieser Fülle liegt auch eine Schwierigkeit. Limitierung ist immer gut um sich, seinen Stil, seine Essenz zu finden. Bei den ganzen Möglichkeiten machen heutzutage aber so viele „Alles“ (lacht). Das stelle ich mir sehr anstrengend und diffus vor, in diesen Tagen rausfinden zu müssen, wo es wirklich hingehen soll.

J: Gehst du mit einem persönlichen Anspruch an dich selbst in ein Fotoshooting?

K: Eine gute Zeit zusammen zu haben, ist erst einmal die oberste Prämisse. Ich bin absolut spaßgesteuert – das Foto entsteht dann sowieso fast nebensächlich. Wenn man eben diese gute Zeit zusammen hat und es halt miteinander groovt, dann macht man auch tolle Bilder. Dass ich ein gutes Foto schießen will ist ja ohnehin klar – sonst würde ich nicht fotografieren. Ich habe schon Ehrgeiz. Aber du kannst schwer mit Erwartungen herangehen und sagen, „Heute will ich dies oder das mit der Person machen“ – die Leute sind oft auf Tour, du weißt gar nicht wie die drauf sind. Wenn entsprechender Mensch total aufgedreht ist, kannst du schwer ein stilles melancholisches Portrait machen. Ich muss immer schauen, was da mit uns passiert, wenn wir aufeinandertreffen. Und dann kann zum Schluss vielleicht doch noch das ruhige Porträt passieren.

Ich hatte jedenfalls schon sehr früh gute Jobs und richtig wichtige Leute vor der Kamera und danach nicht selten gedacht „Oh Gott, dass das jetzt wieder irgendwie gut gegangen ist…“. Mein Anspruch war dann jedenfalls ab einem gewissen Zeitpunkt, dass dieses Gefühl verschwindet. Das lenkt nur ab und stresst. Ich brauche Sicherheit. Das bedeutet vor allem, Technik verinnerlicht zu haben, um sie dann wieder zu vergessen und frei und kreativ arbeiten zu können.

Björk © Katja Ruge, 1993

J: Was ist der größte Fehler, den man beim Fotografieren machen kann?

Im analogen Zeitalter ist es mir durchaus schon einmal passiert, dass ich bei einem großen Shooting vergessen habe, einen Film einzulegen (lacht). Aber du meintest die Frage wahrscheinlich anders, oder? Es ist ja alles so krass stressig heute und deshalb können Dinge oft schief laufen, die Bedingungen nicht stimmen – die Lampen sind falsch ausgerichtet oder was auch immer. Ich gehöre jedenfalls nicht zu den Fotografen, die direkt sagen „Ach, das merze ich dann alles später in Photoshop aus“. Der Satz fällt auch bei mir schon einmal, aber eher dann, wenn der Künstler einen dicken Pickel auf der Nase hat und ich ihn beruhigen will (lacht). Fehler sind jedenfalls wichtig und gut um seinen Stil zu finden.

J: Welchen Einfluss hat die inflationäre Fotografie in den sozialen Medien auf die professionelle Fotografie?

K: Viele Leute denken, sie können gut fotografieren, wenn sie mit ihrem Iphone ein hübsches Foto machen. Das ist aktuell der größte Irrtum. Diese Bilderflut macht einfach müde, ich folge immer weniger Leuten bei Instagram, weil mich diese Banalitäten des Lebens überhaupt nicht interessieren. Ich werde die erste sein, die einen digitalen Filter ordert, der das alles aussortiert, sobald es den gibt (lacht)!

Ich finde es so schade, wenn Fotografie zu einer Selbstbeweihräucherungsnummer wird. Dieses ganze Gepose ohne Ende oder „Proud of my Body“-Ding… Es nervt unglaublich.

Aber natürlich kann es auch beim Fotografieren mit dem Iphone einen künstlerischen Ansatz geben. Letztes Jahr habe ich eine Idee für ein Plattencover entwickelt und die ließ sich tatsächlich am bestem mit meinem Iphone realisieren. Das muss ja nicht immer heißen, dass man einfach nur „klick“ macht.

Und was Social Media sonst noch betrifft: Wenn Künstler ihre neuen Fotos stolz teilen und dazu schreiben, wie viel Spaß die Session gemacht hat, ist das natürlich die beste Werbung für mich. Diese Entwicklungen innerhalb der Digitalisierung sind halt Fluch und Segen zugleich.

Aus der Serie „Spongel the Dog“ © Katja Ruge

J: Auftraggeber mit kommerziellen Interessen, beispielsweise aus der Werbung, bieten vergleichsweise gute Konditionen, aber natürlich keine tatsächliche künstlerische Freiheit. Hast du für dich, was dies betrifft, immer die Waage zwischen Kunst und Kunsthandwerk im Auftragssinnne halten können?

K: Man muss viele gut bezahlte Jobs haben, um sich damit den Freiraum für Kunst schaffen zu können. Das ist schon immer mein Bestreben gewesen und das läuft bei mir auch ganz gut. Ich habe da ein vernünftiges Maß an Geldjobs und eigenen Projekten gefunden. Viele Fotografen finden so etwas ganz schrecklich, aber ich fotografiere auch wahnsinnig gerne Events. Ich sehe es auch überhaupt nicht als verwerflich an, auf Hochzeiten zu fotografieren. Fotografie erfüllt auch Zwecke, dafür darf man sich nicht zu schade sein – zumindest bin ich es mir nicht. Wenn ich etwas für ein Stadtmagazin oder so mache, würde ich es nicht als Referenz auf meine Website stellen, weil es für mich keine direkte künstlerische Relevanz in dem Sinne hat. Aber ich gehe offen mit meinen Jobs um und spreche darüber.

J: Lassen sich überhaupt noch Bedingungen an das von dir einmal veröffentlichte Bildmaterial knüpfen? Oder musst du einfach mit dem „Einmal online, immer online“-Kontrollverlust leben?

K: Früher gab es noch etliche Bedingungen, an die Promofotos geknüpft waren: Für wie lange, für welche Zwecke und in welchen Ländern sie beispielsweise genutzt werden dürfen. Das ist was Künstlerportraits betrifft heute aber echt schwierig geworden. Die Bilder kursieren im Internet und Veranstalter nutzen die dann oft einfach unüberlegt, weil sie gerade mal ein Bild brauchen. Da entsteht so viel Kuddelmuddel, weil überall Leute sitzen, die gar nicht mehr wissen, wie man anständig mit Bildmaterial umgeht. Das Selbstverständnis um den Wert und die Arbeit die dahintersteckt, ist geschwunden. Was das betrifft ist heute Sodom und Gomorra angesagt. Musik und Fotografie sind beide mit diesem Chaos konfrontiert und du kannst nichts dagegen machen. Wenn ein Bild irgendwo im tiefsten Russland auf einer Fanseite auftaucht, die keiner mehr betreut, dann hast du eigentlich verloren. Natürlich kannst du versuchen rechtlich vorzugehen, aber Kosten und Nutzen stehen wie so oft bei solchen Angelegenheiten in keinem Verhältnis.

DJ Koze © Katja Ruge, 2017