2018 interviewte ich das Paradies für das Online-Magazin Testspiel, damals zum aktuellen Album „Goldene Zukunft“. Eine meiner zweifelhaften Ideen: „die Zuschauerfrage“. Florian Sievers ist weiterhin für gute Musik bekannt und hat seither einiges an poppigen bis experimentellen Platten hervorgebracht.
Immer donnerstags veröffentlichen Honigpumpen-Journalist:innen einen ihrer früheren Artikel, bei Bedarf leicht kommentiert, aus verschiedenen Medien. Dieses Mal also: Das Paradies.
Talking to Turtles machte ihn zum Millionär, sein Solo-Debüt ist Favorit für den Beste-Platte-Echo und sogar unser Star für Lissabon äußerte sich überraschend geistesgegenwärtig: „Mit meiner unterkomplexen Schrottschnulze kommen wir ohnehin nicht weit, viel lieber soll Das Paradies ein schönes Lied für uns beim ESC singen. Wir müssen ja auch ein bisschen daran denken, dass man die Veranstaltung auch anderswo empfangen kann.“ So würde sich meiner Meinung nach eine angemessene Einleitung lesen lassen, würden doch endlich paradiesische Zustände einkehren.
Es folgen sechs fragen an Florian Sievers, Verwirklicher des verheißungsvollen neuen Pop-Projekts Das Paradies.
1. Die erste Paradies-EP wird am 21. April bei Grönland Records erscheinen und im Laufe des Jahres soll dort außerdem dein Debütalbum veröffentlicht werden. Die Gretchenfrage zuerst: Wie hältst du es mit Herbert Grönemeyer?
In dem Haushalt, in dem ich aufgewachsen bin, gab es keine Tonträger. Dafür lief den ganzen Tag das Radio mit „den besten Hits aus den 80ern, 90ern und heute“. Da werden Herbert Grönemeyer und einige andere quasi automatisch zum Soundtrack of your Kindheit. Man könnte mich nachts wecken und ich wäre in der Lage zum Beispiel „Bochum“ als auch diverse Hits von Matthias Reim bis Bonnie Tyler ad hoc und fehlerfrei abzurufen.
2. Wie läuft der Entstehungsprozess von Paradies-Songs für gewöhnlich bei Text und Musik ab?
Die Devise heisst meist „Trail and Error“. Gerade was das deutschsprachige Texten betrifft, habe ich ausprobiert was mir gefällt und was nicht. Das hat etwas gedauert, war aber kein Problem, weil es zu dem Zeitpunkt nicht den Plan gab, dass aus den Skizzen fertige Songs werden und die dann auch noch zu veröffentlichen. Es war mehr ein interessantes Spiel, um mir die Zeit in der Band-Pause von Talking to Turtles zu vertreiben. Irgendwann fühlte sich das Schreiben und Singen so natürlich an, dass ich irgendwie nicht aufgehört habe und dann doch fertige Songs daraus wurden. Musikalisch war es ähnlich. Ab Song drei oder vier hatte sich dann ein Instrumenten-Portfolio angesammelt, aus dem ich mich für die meisten neuen Lieder bedienen konnte.
3. Wer dich live gesehen hat, weiß: Da stehen hübsch eigentümliche Gerätschaften auf der Bühne. Was für ein Verhältnis hast du zu deinen Instrumenten? Wie finden sie ihren Weg zu dir, wann wachsen sie dir ans Herz?
Mit den Instrumenten ist es, bis auf einige Ausnahmen so, dass die Neuanschaffungen gerade am meisten Spaß machen und einem das Gefühl geben, neue Ideen zu haben. Für die Paradies-Songs waren es vor allem ein altes Yamaha-Keyboard und ein Synthesizer aus DDR-Zeiten. Letzterer ist eine Dauerleihgabe eines Freundes aus dem Nachbardorf meiner Eltern. Er hat schon lange vor dem Fall der Mauer in Bands gespielt. Auf diesem Gerät wurden die verbotenen Songs aus dem imperialistischen Ausland gespielt. Vielleicht auch welche vom frühen Grönemeyer? Beide Keyboards sind auf der Bühne bei den Konzerten dabei und werden von meinem Freund Simon virtuos bedient.
4. Im Dezember hast du unter anderem eine Tour mit Albrecht Schrader gespielt. Wie wird deine Musik aufgenommen – gibt es auch unerwartetes Feedback von den Konzertbesuchern und wie viel Wert legst du auf Meinungen von Menschen, die dir nahestehen?
Unerwartet an dem Feedback ist vor allem, dass es überhaupt welches gibt. Wie gesagt, war es bis zu einem gewissen Punkt gar nicht der Plan die Songs zu veröffentlichen. Erfreulicher Weise ist es meist positiv. Aber wer die Musik nicht mag, kommt auch in den seltensten Fällen nach einem Konzert zum Merch-Stand und fragt: „Bist du Das Paradies?“ Ich: „Ja.“ Sie/Er: „Das war scheiße!“. Schade eigentlich.
Und dürfte ich kurz Albrecht grüßen? „Albrecht, falls du gerade mit liest. Sei bitte bald wieder dabei!“
5. Sprecher deiner Plattenfirma sagten zu Radio Fritz „Wir erwarten von dieser Invertragnahme nicht mehr und nicht weniger als die endgültige Erlösung vom deutschen Retortenpop.“ Stellst du ähnliche Erwartungen an den Impact deiner Musik?
Meine Messias-Qualitäten halten sich in Grenzen. Wahrscheinlicher ist immer noch, dass Das Paradies ein weiterer Vertreter des Genres „Retouren-Pop“ wird: Sehr viele Platten werden nicht gekauft und direkt vom Plattenladen zurück ans Label geschickt. Vielleicht könnte man in diesem Genre zumindest zum Pionier werden, wenn selbst Spotify die MP3s mit den Worten „Wollte keiner streamen“ zurückgeschickt hat. Ich bleibe erwartungslos gespannt.
DIE ZUSCHAUERFRAGE Harry Jeske, Musiker: Es wird sehr viel Nebel in deinem Video zu „Goldene Zukunft“ benutzt und auf deinem Pressefoto bist du so eingenebelt, dass man dich kaum erkennt. Das erinnert mich an die Zaubertür (später Zauberkugel, Anm. der Redaktion) des TV- Erfolgsformats „Mini Playback Show“. Meine Frage ist: Hättest du damals die Chance gehabt da teilzunehmen, als wen hättest du die Zaubertür verlassen?
Eindeutig. Michael Jackson.