Die Berichterstattung rund um PC Music fiel im deutschsprachigen Raum bedenklich rar aus. Auch dieser Beitrag kommt reichlich spät, der Trend-Zug ist längst abgefahren und das Londoner Label könnte gewissermaßen bereits als historisch betrachtet werden. Die Strippenzieher der Bewegung sind inzwischen für Interpreten aus der Kategorie „Madonna” im Einsatz – diese Pointe ist jedoch das Einzige, was sich in der Historie von PC Music als konventionelles Musikbusiness-Narrativ lesen lässt.
Woher rührte denn das hiesige Mangelinterresse? Ja, es ist wohl schlichtweg zu einfach PC Music abzulehnen: Ein Haufen Heranwachsender zelebriert oberflächliche Bubblegum-Dance-Music, mit schrillen Hamsterstimmen, schlageresken Songinhalten und synthetischen Instrumenten, die an infantile Elektrogattungen der 90er, wie Happy Hardcore, erinnern. Darauf abgestimmt: das passende Outfit. Grusel.
Fehlt einem das Gespür für feine Ironie und Subversion, liegt es recht nahe, diesem vermeintlichen englischen Kirmestechno keine Aufmerksamkeit zu schenken.
Die Gründung des eigentümlichen Brandings erfolgte 2013 durch A. G. Cook, der mit seinen völlig überzuckerten Highend-Produktionen zentraler Repräsentator des Trademarksounds von PC Music ist.
Der Schein, dass man eine knapp sechsjährige Geschichte ganz gut zusammenfassen können müsste, trügt: Das Label ist ein Chaos. Ist es denn überhaupt eins? Eine Vielzahl von Künstlerinnen und Künstlern werden am laufenden Band angeblich gesingt, bringen dann mit einem riesen Buhai ihre nicht selten einzige Single heraus – oft in Kombination mit ins Leblose bearbeiteten Hochglanzbildern und obskuren Merchandise-Artikeln. QT zum Beispiel nutzte der Legende nach den Umweg der Single-Produktion von „Hey QT“ lediglich dazu, um ihren Lebenstraum eines eigenen Energiedrinks zu verwirklichen. Das Rätseln um den Wahrheitsgehalt derlei Erzählungen wird nicht unbedingt einfacher dadurch, dass man nicht einmal klar beantworten kann, ob beispielsweise die Künstlerin QT überhaupt existiert.
Wer nun wirklich hinter welchen Titeln steckt, wer tatsächlich musiziert und wer „nur” so tut, bleibt überwiegend rätselhaft. Die völlig entmenschlichten Lead-Stimmen bezeugen jedenfalls keine klare Autorenschaft. Die Schraube des Absurden wird noch ein Stück weitergedreht, schaut man sich die verwirrenden Auftritte, bzw. als Gigs inszenierten Performances der PC-Musik-Protagonisten an.
Den Spieß umdrehen
PC Music thematisiert, reproduziert, debattiert Popmusik als Gesamterscheinung und bezieht neben der reinen Musik auch Pose, Merchandise, Vermarktung, Productplacement, Fantum – also praktisch alle elementaren, aber auch zweifelhaften Kanäle, des Pop mit ein. Man kann anhand der Locations in denen bisherige Showcases stattfanden und dem internationalen Presseecho davon ausgehen, dass das Phänomen praktisch ausschließlich ein spezifisches, subkulturelles, musikaffines Publikum erreicht. Überproduzierte und völlig überzeichnete Mainstreammusik für den Underground also? Randnotiz: In Deutschland gab es bislang nur ein einziges PC-Event – 2016 in der Berliner Großraumdiskothek Berghain nämlich. Na immerhin…
Nun werden subkulturelle musikalische Erscheinungen ja in der Regel davon geprägt, dass sie dem Gesellschaftskritischen zugeordnet werden wollen, einen intellektuellen, meist politischen Anspruch erheben, die Antithese zu den Charts bilden. (Ehemalige) Indie-Stars kokettieren zu gerne damit, sich ausschließlich an Untergrundkünstlern orientiert zu haben. Ihr typischer Standpunkt: „Der ganze Hype um die eigene Person oder Band kam urplötzlich – eigentlich ist und bleibt man ja ein ganz verquerer Charakter der Gegenkultur. Die Karriere als Musiker, das allgemeine Medieninteresse, die wahnsinnigen Fans – all das war einem von vornherein nicht geheuer, etwas das man natürlich nie so gewollt hat. Man mache die Musik ja schließlich um ihrer selbst Willen und nicht des Ruhmes zur Liebe.“ Die üblichen, genau genommen ziemlich konservativen Plattitüden eben.
Das Aufregende, vielleicht so noch nicht Dagewesene an PC Music ist, dass man sich als subkulturelles Phänomen praktisch ausschließlich am „Feind“ orientiert – am affirmativen Mainstreamact. Liebe Streber, bitte noch einmal die Finger runternehmen: Der Vergleich zu The KLF hinkt nämlich, die haben ihre Mittel und ihr Standing ja stets offen zur Schau gestellt. Klare Verweise, klare Strategien, klare Kritik. Aber was zur Hölle treibt PC Music da für ein Spiel?
Der augenscheinlich für ganz natürlich erachtete Zyklus, dass ein Trend langsam im Untergrund gedeiht, bevor die Musikindustrie davon zerrt und das eigentlich Interessante verzerrt zu Geld macht, wird bei PC Music durchbrochen – der Spieß umgedreht. Orientierung also an denen, die das große Publikum suchen und derer Privatleben und Image eigentlich entscheidender in Sachen Fan-Bindung sind, als der tatsächliche musikalische Output. Orientierung an jenen also, denen zunächst große allgemeine Bewunderung widerfährt, bevor man nach ihrem kurzen Hallo! im Showbiz oft nur noch Mitleid empfinden kann. Überspitzt formuliert sind es also nicht tatsächliche Musiker Inspirationsgegenstand, sondern die Abziehbildchen, die die Musikindustrie ununterbrochen, je nach tagesaktuellem Geschmack, produziert: Opportunisten inmitten ihrer 15 Minutes of fame.
Überidentifikation als Strategie
Keine coolen Referenzen, kein Kokettieren mit dramatischen Biografien, auf denen die Kredibilität authentischer Nicht-Mainstream-Musiker allzu oft fußt. Einfach nur Pop also? Oder besser: Einfach nur Plastik? Wohnt diesen immer lächelnden, aufgehübschten, niedlichen Pop-Interpreten, wie sie speziell in den 1990ern in Akkordarbeit hervorgebracht wurden, nicht auch eine ganz eigentümliche Traurigkeit inne? Das wie Ferngesteuert-Wirken, das Nicht-Wissen-Können wer tatsächlich hinter den Tracks steht, ist entscheidendes Sujet, das die für das Publikum unsichtbaren Mechanismen der Musikindustrie aufgreift – aber eben auf eine neue, alles andere als stumpfsinnige Art und Weise. Die sich aus einer Überidentifizierung mit den Symbolen der Dekade von 25 Jahren Viva-Mainstream erschließende Ästhetik, ist das was PC Music unter’m Strich ausmacht und dem Label bereits jetzt eine Fußnote in der Popgeschichte reservieren sollte. Wer tatsächlich denkt, das Londoner Label sei lediglich eine obskure Weiterentwicklung des karnevalesken 90er-Revivals der späten 2000er Jahre, befindet sich auf einem ziemlich morschen Holzweg.
Oder doch nur alles Satire
Das spezifische Erscheinungsbild der PC-Music-Erzeugnisse erschließt sich nicht aus einer ausschließlich humoresken Einstellung gegenüber massentauglicher Popmusik oder gar einer Überlegenheitshaltung heraus. PC Music lässt sich nicht mit satirischen Erscheinungen wie der Scherz-Elektro-Gruppe Fraktus, mit HGich.T oder Spinal Tap vergleichen, die ja allesamt ihre Darbietungen als fiktiv und ironisch distanziert markieren. PC Music bleibt mysteriös – nach stichhaltigen Argumenten um die Frage „Are they serious?“ fundiert verneinen zu können, sucht man vergebens.
Das Oberflächliche, Kitschige, Hedonistische und als Teeniekram abgetane wird so sehr ausgereizt, dass ein eigentümliches Flirren entsteht: Ist das uneingeschränkt Affirmative, das radikale Auslassen von allem was als natürlich und authentisch gelesen werden will, nicht schon wieder ein politisches Statement?
Vermeintlicher Opportunismus um jeden Preis, das Nachahmen und Übersteigern des gewohnt schizophrenen Popzirkus, hat definitiv ein provokatives Moment inne. Oder anders gesagt: Das derart offensichtliche Aussparen jeglicher politischen Inhalte, das Weglassen von all dem Krawallartigen, was man für gewöhnlich von einer Untergrundbewegung erwarten würde, erzeugt paradoxerweise wiederum so etwas wie eine politische Dimension. Max Goldt schreibt passend in einem Essay, dass der provokanteste aller möglichen Songtitel eben nicht „Fickt das faschistoide Schweinesystem“ sei, sondern „Ich bin intelligent und ohne finanzielle Sorgen”.
PC Music bleibt mit seinen Beweggründen, seinen Komplizen und sogar mit seinem Namen geheimnis- und wirkungsvoll zugleich. Bittersüßer Mainstream-Terror für die Nischen, Hochglanz-Lebensentwürfe aus der Hölle: Vielleicht, ja vielleicht, eines der spannendsten Kunstphänomene der 2010er Jahre.