Als kürzlich Mille Petrozza von Kreator auf einem Andreas-Dorau-Konzert plötzlich an mir vorbeitanzte, musste ich an unser einstiges Interview zum Album »Gods Of Violence« für das Printmagazin Das Wetter denken. Was für ein kurios toller Typ! Es war Anfang 2017 und die Welt war noch eine andere.
Immer donnerstags veröffentlichen Honigpumpen-Journalist:innen einen ihrer früheren Artikel, bei Bedarf leicht kommentiert, aus verschiedenen Medien. Dieses Mal also: Kreator.
»Gods Of Violence« ist das vierzehnte Studioalbum der Thrash-Metal-Weltstars: Religion und Krieg stehen im Fokus – nicht als Dichotomie, nicht wechselwirkend, sondern viel mehr als ein und dasselbe. Das Intro öffnet das Tor zu dieser Welt und verkörpert das breitschultrige Schreiten zum Schlachtfeld, mit all den entschlossenen Marschschlägen, sakral anmutenden Chören und einem heroischen Highend-Gitarrensolo. Mit Ironie hat das alles nichts zu tun, auch nicht mit einer bewussten Überidentifizierung, wie man sie von Laibach kennt: Kreator will den affektiven Zugang, Kreator will die Schlacht.
Der Kriegsschauplatz von »Gods Of Violence« ist zugleich ein Spielplatz – ein hermetisch abgeriegeltes Tal voll schwirrender Zeichen aus Mythologie, Religion, Fantasy, Pulp, Kriegsromantik und unserer Real-Life-Gegenwart. Sie alle puzzeln sich zu einer Gegenwelt zusammen, in der es abenteuerlich und kontrovers zugeht. Wir haben uns mit Mille Petrozza, Kopf und Sänger von Kreator, zu Kaffee und einem schönen Stück Kuchen getroffen.
Du singst parolenhaft »We shall kill« im Titelsong »Gods Of Violence«. Sollte der Krieg in der Kunst stattfinden, damit er nicht wirklich passiert?
Absolut. Krieg, Gewalt – das alles ist irgendwie in der menschlichen DNA verankert, das können wir nicht loswerden. Wir sind verwirrte Tiere, die durch die Welt irren, die sich von ihrem natürlichen Lebensraum entfernt haben und jetzt mit den Konsequenzen umgehen müssen. Es gab in der Geschichte auch keine einzige Zeit, in der Weltfrieden herrschte, das ist eine Utopie. Die aktuelle Situation ist ja sehr kriegsbeladen, deswegen auch »World War Now« als erster Song nach dem Intro »Apocalypticon«. Wir alle befinden uns zur Zeit schon in einer Art Krieg. Er findet statt, indem man Angst hat, dass gleich etwas passieren könnte. Es ist immer noch sehr unwahrscheinlich, dass sich jemand neben dir in die Luft sprengt, aber es scheint, als sei es wahrscheinlicher. »World War Now« ist auch von der Bataclan-Geschichte inspiriert worden. Derartiges hat das erste Mal in der Popkultur stattgefunden. Vorher dachtest du noch, dass eine Botschaft oder ein Flughafen unsichere Orte sein können, aber du hättest nie geglaubt, dass ein Konzert von so einer amerikanischen Band Ziel von irgendwelchen Verrückten sein könnte. Der Song soll keine Aufforderung zum Weltkrieg darstellen, sondern ist mehr eine Bestandsaufnahme der aktuellen Ereignisse.
»Suddenly we are at war / Vultures climb the rotting corpse of truth / Unbearable atrocitiys / Where paranoia‘s dictating the rules.« (World War Now)
Wie unterscheidet sich der Satan, den du beispielsweise in »Satan Is Real« auf der neuen Platte thematisierst, von einem Black-Metal-Satan, wie er etwa von Gorgoroth zuverlässig lyrisch aufgegriffen wird?
Wie mein Satan mit dem von Gaahl (Gorgoroth-Sänger offiziell bis 2009, Anm. d. R.) übereinstimmt, kann ich nicht genau sagen. Aber wenn wir jetzt zu dritt sprechen würden, könntest du sicher viele Parallelen finden. Wir sind beide in dieser Metal-Welt sozialisiert worden und haben keine Angst davor, gewisse Begriffe zu verwenden. Man muss nur mit den Klischees aufpassen. Ich würde denken, dass es den Meisten eher um Metaphorik, Fantasiegestalten und bestimmte Codes geht. Und da kann ich überhaupt nicht abschätzen, wie einzelne Personen persönlich dazu stehen. Für mich ist das alles eine sehr schöne Inspiration. Ich war damals katholischer Messdiener und bin so zu diesen ganzen weltanschaulichen Sachen gekommen. Dadurch habe ich begonnen, Dinge in Frage zu stellen. Warum erzählen die mir, dass Moses das Wasser teilen und Jesus Fische aus einem leeren Brotkorb zaubern kann? Das war ein Anstoß für mich, mich überhaupt einmal mit Philosophie zu befassen – ich habe versucht, all das zu verarbeiten. Wir werden ja noch immer mit diesen Dingen konfrontiert, das hat sich ja alles bis in unsere heutige Zeit getragen. All diese Zeichen sind immer noch sehr relevant, deshalb »Satan Is Real«. Der Titel war eine Idee von meinem Freund Dagobert aus Berlin. Dagobert hat ja auch bei »Fallen Brother« mitgewirkt.
Ich finde an dem Song einzigartig, wie du in Teilen deutsch singst – das machst du ja zum ersten Mal. Durch dieses Einweben deiner Muttersprache fällt für mich eine Distanz zu der Kunstfigur auf, die du für gewöhnlich verkörperst. Man ist plötzlich für Sekunden näher an dir dran. Ich glaube überhaupt nicht, dass man deutsch sprechen können muss, damit diese Wirkung im Moment des Hörens entsteht.
Ah, interessant – das habe ich so nie gesehen, aber ich kann es nachvollziehen. Der Text ist schon persönlicher, es geht um meinen toten Bruder – ganz offensichtlich eigentlich. Ich wollte mich dahingehend eigentlich nicht weiter äußern, damit man das Lied nicht von vornherein anders hört. Durch das Gedicht, das Dagobert in der Mitte des Songs beiträgt, wird der Text für mich aber noch einmal auf eine ganz andere, universelle Ebene gehoben. Es sagt ja praktisch, dass Tod und Leben eins sind, dass wir das eben nur nicht erkennen. Man meint immer nur DAS hier sei das Leben, aber es ist eben ein Kreislauf.
»Hinter den Gräbern aus morschem Gebein / Da, wo Gedanken als Geister erscheinen / Lachen die Toten und trinken den Wein / Den wir vor Schmerz ob Verlusten verweinen.« (Fallen Brother, Dagobert-Part)
An anderer Stelle hast du gesagt, dass die 1980er nicht das goldene Zeitalter des Thrash Metal waren, sondern dass dieses Zeitalter jetzt erreicht ist. Wie kommst du zu diesem unorthodoxen Standing?
Ich war da einfach noch zu klein. Ich wurde von einer Album-Session zur nächsten und von einer Tour zur nächsten gejagt. Wir sind damals von der zweimonatigen »Extrem Aggression«-Tour in den USA nach Hause gekommen und ich habe direkt einen Anruf von der Plattenfirma gekriegt: »Ey, ihr geht in sechs Wochen ins Studio, wir müssen die Platte jetzt rausbringen!« Und wir hatten noch gar keine Songs, es ging einfach um Geld. Technisch war natürlich auch alles noch nicht so ausgereift und man hatte viel mit Leuten zu tun, die keine Ahnung von der Materie hatten – das ist heute anders. Die Szene setzt sich jetzt aus Leuten zusammen, die früher Fans der Musik waren. Du hast eine andere Kommunikationsebene und Ausgangssituation. Es ist nicht mehr so, dass irgendwelche Major-Labels oder MTV und wie sie alle heißen, versuchen, dich vor einen Karren zu spannen. Da werden mir viele widersprechen, aber ich habe es damals so empfunden, dass das alles noch nicht so viel mit der Kultur zu tun gehabt hat, zu der es heute geworden ist – sie hat einfach diese Jahre gebraucht, um sich dorthin entwickeln zu können.
In der US-Dokumentation »Get Thrashed« äußerst du dich positiv in Bezug auf die Metal-Fans und lobst dabei, dass sie immer ehrlich mit den Künstlern umgehen, auch wenn man eine »shitty record« veröffentlicht hat. Hattest du dabei an eine bestimmte Platte gedacht?
(lacht) Ich empfinde keines unserer Alben als richtig schlecht, ich denke nur, manche sind zu einer Zeit entstanden, in der wir besser keine Platten hätten veröffentlichen sollen. Wir waren innerhalb der Band ziemlich zerstritten und hatten einen Burnout – heute würde ich das nicht mehr machen. Wir waren da in einer Maschinerie drin, die sich durch die Art und Weise, wie sich das Musikgeschäft verändert hat, völlig aufgehoben hat. Deswegen können wir jetzt ein Album machen, wenn wir Bock darauf haben und das ist gut. Als ich 22 war, hatte ich bereits fünf Alben rausgebracht. Da bist du ja eigentlich erst am Anfang deiner kreativen Selbstfindungsphase. Wir haben dann einfach andere Sachen ausprobiert und hätten nicht damit gerechnet, dass so viele Menschen plötzlich verwirrt darüber sind, wie sich ihre »Marke« Kreator verändert hat. Zudem haben wir mit Leuten zusammengearbeitet, die gar nicht verstanden haben, was wir vorhatten. Und vielleicht waren unsere Ideen auch einfach größer als unsere Fähigkeiten.
Die damalige Abkehr vom etablierten Kreator-Sound lag nicht daran, dass das allgemeine Interesse an Thrash Metal in den 90ern rabiat eingebrochen ist?
Ich war einfach in einem kreativen Loch und hatte keine Ideen mehr in die Richtung. Das ist jetzt Jammern auf hohem Niveau, aber es ist nicht immer einfach, deinen eigenen Ansprüchen und den Erwartungen der Menschen gerecht zu werden. Ich finde, wir haben in den letzten Jahren einen guten Mittelweg gefunden, wir können einfach innerhalb des Stils experimentieren. Wenn wir jetzt einen Part oder einen Song haben, der auch auf »Endorama« hätte erscheinen können, regt sich da keiner mehr drüber auf. Wir haben uns eine Art freies Universum erschaffen, in dem wir vielseitig arbeiten können.
Im Pop ist es ja eher unüblich, Verbrechen aus der Täterperspektive zu besingen. Was Falco mit »Jeanny« an öffentlicher Empörung losgetreten hat, war damals ja ein Wahnsinn. Im Thrash Metal sind Darstellungen aus Sicht des Aggressors ja stets immanent gewesen. Beinhalten Klassiker wie »Pleasure to Kill« – in dem das unmittelbare Ausleben von Gewaltakten stark forciert wird – für dich auch eine politische Dimension oder stellen sie vorrangig eine Art auditiven Splatterfilm dar?
Letzteres würde ich sagen. Es ist einfach unglaublich schwierig, in der Kunst politisch korrekt zu sein – das finde ich auch langweilig. Versteh‘ mich bitte nicht falsch, niemals würde ich der Provokation wegen Rassistisches fabrizieren oder etwas bewusst im Dunkeln lassen, so dass nicht klar wird, dass ich gegen Derartiges eine klare Haltung habe. Ich finde nur, es muss erlaubt sein, bestimmte Dinge von einer Distanz heraus zu bearbeiten und sie umzukehren. Nur weil manche Leute das falsch verstehen könnten, kann ich mir nicht meine Kreativität blockieren lassen. Wir haben diesen Weg bei Kreator aber irgendwann einfach verlassen, es gab noch so viel mehr Ausdrucksmöglichkeiten. Ich wollte mal ein Video mit Jörg Buttgereit machen und er meinte zu mir: »Alter, was du von mir gut findest, das habe ich gemacht, als ich noch fast ein Teenager war – das kann ich heute nicht mehr!« und so ähnlich ist es bei uns. Man kommt an einen anderen Punkt im Leben, an dem man Dinge zwar immer noch extrem ausdrücken möchte, aber auf eine andere Art. Ich will die Worte »erwachsener« oder »reifer« nicht benutzen, man kann auch reflektiert sein, ohne im negativen Sinne erwachsen zu sein.