Ein Konzeptalbum steht immer für eine Kohärenz zwischen den einzelnen Titeln auf dem Langspieler. Die Songs stehen nicht für sich isoliert, sondern verfolgen gemeinsam einen roten Faden, sind untereinander verknüpft.
Schnell ist man bei:
– The Beatles mit „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“: Ein Album, bei dem sich die Gruppe als fiktive Band zum Thema Liebe abgearbeitet hat. Fließende Übergänge zwischen den Stücken waren einst zentrales Merkmal der Gattung „Konzeptalbum“ und wurden hier erstmals aufgefunden.
– The Who mit „Quadrophenia“, in dem die Probleme eines Jungen beim Erwachsenwerden im London der 1960er Jahre dargestellt werden, hat ebenfalls Wellen geschlagen. Die Geschichte des jungen Jimmy wird parallel zur Musik im umfangreichen Booklet der Doppel-LP als Fotoroman erzählt. Dieses Beispiel zeigt zu gut, was in der heutigen Streamingkultur verlorengeht und dass Pop-Musik immer mehrere Kanäle gleichzeitig bedienen kann.
– Pink Floyd mit „The Wall“: Hier wird die Geschichte des ausgedachten Pop-Stars Pink erzählt. Die Tracks fließen ineinander über, sind zum Teil durch Geräuschsequenzen miteinander verbunden. Das Album bietet eine Narration, die ermöglichte, dass es unter dem selben Titel als Spielfilm verfilmt wurde.
Um diese Art von Konzeptalben, die inhaltlich und auditiv einen Bogen spannen, soll es hier nun aber nicht gehen. Sondern um etwas, dass ich als das performative Konzeptalbum bezeichnen möchte. Gemeint ist hier durch gezielte Limitation der Mittel oder des Vorgehens, zu kreativen Ergebnissen zu kommen: Weniger das musikalische Können, als eine brillante Idee und ihre konsequente Ausführung ist hier wegweisend.
Jemand der diese Art Konzeptalbum auf die Spitze getrieben hat, ist der Kalifornier Owen Ashworth mit seinem Projekt „Casiotone for the painfully alone“. Er schrieb ein von den Dogma95-Filmen inspiriertes Regelwerk, mit Paragraphen wie:
Short songs; played in C on the white notes; no happiness allowed; all Casio-Instruments.
Vorherige Merkmale wie das Ineinanderfließen von Stücken waren hier nicht mehr interessant – die Stückkonzeption an sich trat mit einem klaren Regelwerk in den Vordergrund und es erschienen drei Alben nach dieser Machart.
Don’t bore us get to the chorus (Berry Gordy, Motown)
Der Hamburger Andreas Dorau wurde mit 15 durch seinen NDW-Hit „Fred vom Jupiter“ bekannt und erreichte in den 90ern mit einem Remix von „Girls in Love“ die Spitze der französischen Charts. Er steht für wirklich kreative Kompositionsstrategien.
Mit „Das Wesentliche“ veröffentlichte er eine Platte, die ohne jegliche Strophen auskommt. Zwar gibt es ab und an kleine Intros und instrumentale Zwischenparts, nie aber wird die Harmonie/Akkordfolge gewechselt. Ein Album nur mit Refrains, die ja eigentlich die Synopsis einer im Song erzählten Geschichte darstellen. Hier wird das Konzept Pop-Song völlig neu interpretiert und jeder Titel erzählt trotzdem viel, vielleicht gar durch das vermeintlich Leerstellenhafte mehr als durch ein klar gegliedertes Narrativ.
„Nein ist ein trauriges Wort, fast wie ein Schlussakkord
Doch manchmal muss es sein, sag einfach deutlich nein“ (Nein, Das Wesentliche)
Für „Aus der Bibliotheque“ lieh er sich CDs aus der titelgebenden Bücherei aus, die ihm fremd waren. Er nutzte die Harmonien vom Intro von jeweils verschiedenen Alben als Start für seine eigenen Songs. Schön ist, dass er darüber offen spricht und dem virtuosen Künstler, der seine Inspiration nur aus sich allein zieht, konsequent widerspricht.
„Acht, 15, 25 Cent, ein jeder diese Zahlen kennt
Die Kinder rufen im ganzen Land
Fli-Fli-Fla-Fla-Flaschenpfand“ (Flaschenpfand, Aus der Bibliotheque)
„Ich bezeichne mich nicht als Musiker“ sagt er, lässt aber offen, was er denn nun künstlerisch darstellt. Ein Konzeptionist und Puzzler in jedem Fall. Ein weiteres aufschlussreiches Zitat von Dorau: „Experimentelle Musik muss nicht atonal sein“.
Den sprichwörtlichen Vogel hat Andreas Dorau mit seinem Doppel-Album „Die Liebe und der Ärger der Anderen“ abgeschossen, auf der Titel wie „Ossi mit Schwan“ zu finden sind. Nach seiner gemeinsam mit Sven Regener verfassten Biografie „Ärger mit der Unsterblichkeit“ war er müde, über sich selbst zu erzählen und widmete sich auf der Platte ausschließlich Autobiografien anderer.
Er war noch nie in den Album-Charts gelistet und wollte es dieses Mal schaffen. Dabei sollten nicht mehr Exemplare als sonst verkauft werden, nur der Zeitraum musste knapper sein. So sollte sich beim Release alles auf die Erscheinungswoche konzentrieren. Mit nur rund 1500 verkauften Einheiten landete er – hierfür bewusst den Juli mit den allgemein wenigsten Veröffentlichungen ausgewählt – mit dem Doppel-Album – das in den Charts höher als ein normales Album eingestuft wird – im Mittelfeld der deutschen Top-100.
Es wurde also praktisch ein doppeltes Konzeptalbum, in Vermarktung und Inhalt, die Musikindustrie ähnlich entlarvend wie es einst The KLF taten.
Das NDW-Wunderkind war nicht untätig. Während andere sich am Instrument, Gesang oder Bühnenperformance weiterentwickeln wollten, blieb er ein musikalisches Experiment voller wunderbarer Ideen.