In den 2010ern erfuhr deutschsprachiger Hip Hop eine Welle der Antithese. Berühmte Acts mit Humor im Rap gab es vorher schon. Doch das Konzept Deichkind oder K.I.Z war bekannt und gewissermaßen vorhersehbar. Neue Künstler schafften gewisse Unklarheiten im Standing, irritierten und wollten nicht getrennt von ihren Kunstfiguren in Erscheinung treten. Die Komik war nun nicht mehr nur in den Songs zu finden, sondern zog sich durchs Marketing, Interviews, Outfit und so weiter.
Einer der Urtypen dieser Bewegung: Money Boy. Der Kerl ist einfach nicht greifbar und genau hier liegt das Geheimnis seines Witzes. Niemand weiß, was an Interviews, Raps und allgemeiner Selbstdarstellung er zu welchem Grad ernst meint und es wird wohl auch immer sein Geheimnis bleiben. Seinen Durchbruch hatte er mit seinem schrecklich auffällig dilettantisch gemischten Track „Dreh den Swag auf“.
DCVDNS, der offiziell mit Money Boy verfeindet ist, erlangte etwa zur gleichen Zeit des jungen Jahrzehnts wie Money Boy große Aufmerksamkeit. Der Saarländer hat irgendwann den markanten Pullunder abgelegt und sich von seinen parodistischen Einlagen distanziert, wobei ein gewisser Humor auch bei aktuellen Releases nicht von der Hand zu weisen ist. Es ist die Diskrepanz zwischen einem harmlos aussehenden Dude, der sich selbst in seinem angeblichen krass sein übersteigert, die für eine gewisse Unschärfe bei DCVDNS sorgt. Er kann auf jeden Fall technisch sehr gut rappen, was ihn noch einmal gewissermaßen abhebt. Doch der Pimp, der er zu sein vorgibt, war und ist er augenscheinlich nicht.
Mit Hustensaft Jüngling, der wiederum von Money Boy gepusht und gefeatured wurde, wird es noch mal eine Spur interessanter. Die generischen Gangster-Rap-Beats treffen auf einen wie verkleidet aussehenden Jungspund, dazu wird in Handy-Ästhetik-Videos mit hölzernen Gesten geposed. Das komische Potential erschließt sich aus der Kredibilität, die hier äußerst streitbar ist. Hustensaft Jüngling ist der vielleicht Mutigste im Game, weil am konsequentesten. Nach vier Alben hat er Ende des letzten Jahrzehnts damit aufgehört, seine Rap-Karriere zu verfolgen.
All diese Beispiele haben zwar einen gewissen parodistischen Charakter, hier aber schlichtweg von Satire zu sprechen, ist zu einfach. Allen ist eine Überidentifikation mit Hip Hop und seinen Zeichen an sich gemein. Gleichzeitig gibt es Verweise auf ein nicht real sein: Bei Money Boy ist es der Rap mit seinen teils katastrophal schwachen Punch-Lines an sich, bei DCVDNS das Outfit und gewisse retardierende Momente im Flow („Mein Telefon bimmelt“) und Hustensaft Jüngling steht für eine vermeintlich unfreiwillig komische Ästhetik mit Projektwochencharme, die aber – davon darf man ausgehen – voll kalkuliert ist.
Yalla
Ich kauf‘ dir Schmuck von Steuergeld
Denn ich weiß
Es ist euer Geld (Ferien in Deutschland, Medikamenten Murat)
Nun aber zu ganz besonderen Jungs: Medikamenten Murat und Hustensaft Flüchtling. Die Namen haben sie augenscheinlich einfach schamlos von Medikamenten Manfred und Hustensaft Jüngling abgezogen.
Hier erlangt Rap und Komik noch ein Element, das sich nicht inszenieren lässt: Authentizität. Sie sind nicht verkleidet und sprechen so gut Deutsch, wie sie eben können. Die Jungs sind Flüchtlinge aus Syrien, so viel steht fest. Viel mehr lässt sich aber leider nicht über sie rausfinden und es gab nach fünf Singles mit Titeln wie „Eiweiß ohne Schweinfleisch“ in den 10ern keine weiteren Releases mehr.
Neben der musikalischen Catchyness mit ihren poppigen Refrains und Autotune-Passagen, steht der lyrische Inhalt hier im Zentrum der Musik. All das, was Flüchtlingen zu Hochzeiten des Themas um 2017 herum vorgewurfen wurde, wird hier frech verarbeitet. Es geht um Steuergelder, Rumhängen, Drogen nehmen und Stress machen. Alles geerdet durch zuckersüße Melodien. Und die Jungs kommen trotz der Prügeldrohungen als absolute Obersympathen rüber.
Und statt einer Ausbildungsstelle
Nehme ich im Rausch eine Pille
Denn wir kriegen eh‘ keine Arbeit
Scheiß auf die Schule, ich drehe mir das Gras rein (Von der Flucht in die Sucht)
Nie im Leben gäbe es für ein derartiges Projekt Fördergelder für Integration. Und gleichzeitig sind diese Songs und Musikvideos so viel mehr wert, als irgendwelche gut gemeinte Kulturpädagogik. Ein beispiellos cleveres Phänomen aus dem Untergrund – man kann nur hoffen, dass es den Jungs gut geht. Leider scheint das Projekt seit Jahren komplett tot.